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Die kreative Prozesskurve

The creative Process

Vor etwa 15 Jahren hing diese Grafik an meiner Bürotür an der Uni Augsburg. Wo sie ursprünglich herkommt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Vermutlich entstammt sie einer bahnbrechenden Langzeitstudie zur menschlichen Produktivitätsdynamik unter Stressbedingungen, erstveröffentlicht gegen 2:37 Uhr morgens auf der Rückseite eines Bierdeckels in einer der zahlreichen Augsburger Studentenkneipen.

Folgende Beobachtungen waren für mich Anlass, das Bild aufzuhängen: Meine Studierenden stürzten sich Anfangs immer wieder enthusiastisch auf die Themen ihrer Seminarabreiten, um dann wochenlang … na ja… „kreativ zu prokrastinieren“. Kurz vor Abgabeschluss erhielt ich dann panische Emails mit der Bitte um Verlängerung. An die genauen Begründungen kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber meistens war es so etwas wie:
➡️ „Ich habe die Arbeit fast fertiggestellt, aber dann hat Word alles gelöscht, weil ich die 30-Tage-Testversion nicht verlängert habe.“
➡️ „Mein Hamster hat das USB-Kabel angeknabbert, und jetzt erkennt der Laptop den Stick mit der Arbeit nicht mehr.“
➡️ “Ich wollte nur kurz – zum dritten Mal – die Farbpalette des Inhaltsverzeichnisses harmonisieren und die Schriftarten auf „ästhetisch konsistent“ trimmen. Word fand das zu ambitioniert und hat sich entschieden, mein Werk präventiv zu löschen.“
Das ist nun lange her, aber neulich, während eines Planspiels mit Führungskräften, hatte ich ein Déjà-vu. 🤯
Gleiche Dynamik. Gleicher Umgang mit dem Zeitplan. Gleiche Emotionen. Nur der Kaffee war besser. ☕️
👉 Fazit: Der „kreative Prozess“ ist offenbar kein studentisches Phänomen, sondern ein zutiefst menschliches. Wir alle neigen dazu, ein gewisses Maß an Druck (nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig) und klare Rahmenbedingungen zu brauchen, bevor wir wirklich in Bewegung kommen.
Und trotzdem sagen Führungskräfte Sätze wie:
➡️ „Man müsste mal überlegen, wie man diesen Prozess optimieren könnte.“
Klingt nach Initiative – ist aber in Wahrheit der sprachliche Snooze-Button des Managements. 😴 Keine Zeitvorgabe, kein Verantwortlicher, kein Ergebnis. Nur ein schwebender Gedankenballon voller guter Absichten. 🎈
Und Milestones? „Ach, das ergibt sich dann im Prozess!“ höre ich da die ein oder andere Führungskraft sagen.
Klar! Genauso, wie die Hausarbeit sich irgendwann von selbst schreibt.😂

Dabei ist Klarheit kein Kontrollinstrument, sondern kann ein Motivationsbooster sein.
Wenn Menschen wissen, was, wann und warum etwas passieren soll, entsteht echtes Commitment.
Oder anders gesagt:
In Abwesenheit klarer Zieldefinitionen und Rahmenbedingungen entfaltet sich maximale Autonomie – insbesondere hinsichtlich des Lieferdatums: voraussichtlich Sankt-Nimmerleins-Tag, 23:59 Uhr.. 😅